Region Fricktal
Das Sisslerfeld könnte der Geldesel des Kantons werden, muss aber die Verkehrsprobleme in den Griff bekommen

Das Sisslerfeld wird im Abstimmungskampf zum Halbstundentakt zwischen Stein und Laufenburg am 18. Juni gerne als Argument ins Feld geführt. Was hat es damit auf sich? Eine Potenzialanalyse zeigt, dass im Sisslerfeld bis zu 11’000 zusätzliche Arbeitsplätze entstehen und so eine zusätzliche Wertschöpfung von 4,2 Milliarden Franken pro Jahr erwirtschaftet werden kann. Allerdings unter einer Bedingung: Den Verkehr muss man in den Griff bekommen.

Thomas Wehrli
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85 Hektaren umfasst die unüberbaute Arbeitsplatzzone im Sisslerfeld, mit der ein jährliches Wertschöpfungspotenzial von rund 4,2 Milliarden Franken einhergeht.

85 Hektaren umfasst die unüberbaute Arbeitsplatzzone im Sisslerfeld, mit der ein jährliches Wertschöpfungspotenzial von rund 4,2 Milliarden Franken einhergeht.

Bild: zvg

Die Gegner und Befürworter des Halbstundentaktes zwischen Stein und Laufenburg schenken sich im Vorfeld der kantonalen Abstimmung vom 18. Juni nichts. Während Gertrud Häseli (Grüne) die Investition von 61 Millionen Franken im AZ-Streitgespräch klipp und klar als Fehlinvestition tituliert, hält sie Alfons P. Kaufmann (Mitte) für zwingend nötig und sieht darin den ersten Schritt für die Reaktivierung der Rheintallinie.

Immer wieder fällt in den Diskussionen ein Stichwort: Sisslerfeld. Im Raum Stein-Eiken-Sisseln liegt die grösste unbebaute Industriefläche des Kantons, von der sich alle viel erhoffen. Die einen, wie Kaufmann, viele Arbeitsplätze und eine hohe Wertschöpfung. Andere, wie Häseli, freie Forschungsflächen für den biologischen Landbau. Klar ist: Das (Wirtschafts-)Potenzial ist gross.

Klar ist aber auch: Eine der grössten Herausforderungen wird es bei einer Bebauung sein, den Verkehr in den Griff zu bekommen. Vor einem Jahr hat die BAK Economics AG im Auftrag des Kantons eine volkswirtschaftliche Potenzialanalyse für das Sisslerfeld erstellt. Eine Relektüre mit Blick auf den Verkehr.

Wie wichtig ist das Sisslerfeld heute für den Kanton?

Sehr wichtig – oder wie es die Studienautoren umschreiben: «von substanzieller Bedeutung für die gesamte kantonale Wirtschaft». Aktuell werden rund 11 Prozent des kantonalen Bruttoinlandproduktes von den Life-Sciences-Unternehmen im Fricktal generiert. Insgesamt arbeiten allein in den Life-Sciences-Unternehmen im Sisslerfeld rund 4000 Personen. Diese Unternehmen erzielten 2020 eine Bruttowertschöpfung von 2,4 Milliarden Franken.

Wie hat sich der Life-Sciences-Bereich im Fricktal entwickelt?

Höchst erfreulich. Neben dem Sisslerfeld ist dafür vor allem der Cluster in Kaiseraugst verantwortlich. Insgesamt stieg die Zahl der Arbeitsplätze im Life-Sciences-Bereich seit 1995 um satte 250 Prozent. Arbeiteten vor 30 Jahren erst gut 1800 Personen in den Life-Sciences-Betrieben im Fricktal, sind es heute knapp 6300. Die reale Wirtschaftsleistung stieg in dieser Zeit um 13,3 Prozent pro Jahr.

Funktionieren Life Sciences auch in Zukunft?

Ja, in diesem Bereich ist auch in den kommenden Jahren mit einem überdurchschnittlichen Wachstum zu rechnen. Seit 2000 hat sich der weltweite Verbrauch von Life-Sciences-Produkten laut der Studie fast vervierfacht – und ähnlich geht es weiter. Die Studie nennt dafür drei Treiber: den technischen Fortschritt, das starke Wachstum der älteren Bevölkerung und die wachsende Mittelschicht in Schwellenländern, die sich eine höhere Gesundheitsversorgung leisten kann.

Wie viele Arbeitsplätze kann das Sisslerfeld bieten?

Das hängt stark von den Unternehmen ab, die sich ansiedeln werden. Die BAK-Studie spricht von einem Potenzial von 11’000 zusätzlichen Beschäftigten. Damit könnten im Endausbau bis zu 15’000 Personen im Sisslerfeld arbeiten. Die Analyse kommt zum Schluss, «dass das zusätzliche jährliche Wertschöpfungspotenzial rund 4,2 Milliarden Franken beträgt». Ob dies erreicht wird, hängt neben der effektiven Zahl der geschaffenen Stellen auch vom Branchenmix ab.

Welchen Anteil kann das Fricktal zur kantonalen Wirtschaftsleistung beisteuern?

Werden die zusätzlichen 4,2 Milliarden Franken generiert, steigt der Anteil an der kantonalen Wirtschaftsleistung von Knapp 11 auf fast 20 Prozent.

Profitieren auch andere Firmen im Fricktal und im Aargau?

Ja, neben den 10’300 zusätzlichen Arbeitsstellen im Sisslerfeld erwarten die Autoren bei einem Vollausbau, dass zusätzliche 6700 Stellen entstehen. Insgesamt kommt so nochmals eine Wertschöpfung von 2,9 Milliarden Franken hinzu, davon dürften 1,1 Milliarden Franken im Kanton Aargau ausgelöst werden.

Was bedeutet der Ausbau für die Verkehrssituation im Sisslerfeld?

Die Verkehrssituation ist, besonders in Stein und Eiken, in den Hauptverkehrszeiten bereits heute angespannt. Dies liegt auch daran, dass ein Grossteil der Sisslerfeld-Mitarbeitenden heute mit dem Auto zur Arbeit fährt – weil attraktive Alternativen fehlen. Die Studie sagt denn auch klar: Ändert sich dies bei einem Ausbau des Sisslerfeldes nicht, so kann der Verkehr auf der Schaffhauserstrasse «nicht mehr siedlungsverträglich bewältigt werden». Deshalb: «Die Abstimmung von Siedlung und Verkehr ist der Schlüssel zur Entwicklung des Sisslerfeldes.»

Was braucht es, damit der Verkehr nicht kollabiert?

Ein Umdenken respektive ein Umsatteln auf Velo und öffentlichen Verkehr. Es muss gelingen, so die Studienautoren, den Anteil des Individualverkehrs von heute 70 auf 55 Prozent zu senken.

Nennt die Studie konkrete Ansätze?

Auch wenn es sich nicht um eine Verkehrsstudie handelt, zeigt die BAK-Analyse einige Elemente einer zukünftigen Verkehrsplanung auf. So braucht es ein gebietsinternes Mobilitätsmanagement durch Steuerung der Parkierung von Mitarbeitenden, Beiträge an das ÖV-Ticketing sowie Priorisierungsmassnahmen für den ÖV-, Velo- und Fussverkehr.

Ein Ausbau des Busnetzes mit kürzerem Takt ist ebenso unabdingbar wie eine Konzentration der Parkplätze an den Zufahrts- und Umsteigeorten. Weiter erwähnt die Studie auch einen neuen Rheinübergang zwischen Stein und Bad Säckingen «zur Schaffung einer direkten und attraktiven Verbindung für ÖV-, Velo- und Fussverkehr». Zum Ausbau der S1 äussert sich die Studie nicht.

Was passiert, wenn der Anteil des Individualverkehrs nicht so stark gesenkt werden kann?

Dann gilt die Situation laut den Studienautoren als nicht vereinbar mit einem ausreichenden Schutz für angrenzende Nutzungen (Fuss- und Veloverkehr) vor den negativen Auswirkungen des Verkehrs durch Lärm und Luftverschmutzung. «In diesem Fall könnte das wirtschaftliche Potenzial des Entwicklungsschwerpunktes weniger ausgeschöpft werden.»